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Von Manuela Hötzl, Antje Mayer.

Architekturlandschaften und Stadtregionen

Plädoyer für Europa

„Europe is a state of mind that cannot be contained by traditional boundries“ (Mark Leonard)

Mehr denn je ist die Debatte über die Zukunft Europas entfacht: Die direkte Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden, die festgefahrenen Budgetverhandlungen und nicht zuletzt die flammende Rede Tony Blairs, in der er sich als „leidenschaftlicher Europäer“ outet, haben die Frage nach der Identität Europas erneut thematisiert. Der neue Ratsvorsitzende Blair beeindruckte vor allem durch die Positionierung Europas in einem globalen Kontext. Und von der westlicheren Seite kommt der Ökonom Jeremy Rifkin mit dem „europäischen Traum“. Aus seiner Sicht gründet sich Freiheit für Europäer nicht auf Autonomie, sondern auf Eingebundensein. Auch Blair könnte nie ein Europa akzeptieren, das „nur ein Wirtschaftsmarkt sei“. Er glaubt an „Europa als politisches Projekt“ mit „einer starken, fürsorglichen sozialen Dimension“.
In all diesen positiven Aspekten – Rifkin nennt es „Eingebundensein“, der Philosoph Peter Sloterdijk „prozedurale Einigung dieses heterogenen Kontinents“ oder eben Blair „einander Rückhalt geben" – muss auch die zukünftige Erweiterung „dabei“ sein, als „außergewöhnliche Chance“ und um eine größere und stärkere Union zu schaffen.
Europa muss ein großes, starkes Netzwerk bleiben, die Vielfalt als Möglichkeit, es darf niemanden ausschließen und es muss seine Werte wieder neu festlegen. Europa kann nur seine Größe beweisen, wenn es sich nicht über Grenzen definiert und sich in einem globalen Kontext beweist.

Mark Leonard schreibt im Magazin „Wired“/„A State of Mind”: „Die beste Art, zu verstehen, wie Europa funktioniert, vermittelt ein Blick auf ein weltweit vernetztes Unternehmen wie Visa. Durch umfassende Kontrollaufteilung und dadurch, dass die Dominanz einer einzelnen Fraktion oder Institution unterbunden wird, kann ein vernetztes Unternehmen seine globale Präsenz mit Innovation und Vielfalt kombinieren, um jene Art von Vorteilen zu erreichen, die normalerweise kleineren Instanzen vorbehalten sind.” Dieser Vergleich definiert dieses Europa, indem es gleichermaßen aus einer regional bestimmten Ideologie herausführt und sie unterstützt.

Ursprünglich von Romano Prodi initiiert, mit Unterstützung vom „Haus der Kunst“ in München, realisierte der Architekt Rem Koolhaas die Ausstellung „Das Bild Europas“ (11. 10. 2004 bis 9. 01. 2005). Interessant dabei ist nicht nur das plötzliche Interesse von Koolhaas an Europa, sondern auch wie er dieses Europa mit Enthusiasmus darstellt. Koolhaas: „From now on the EU will be bold, explicit, popular …“ Die Ausstellung zeigt die Geschichte Europas erstmals als eine gemeinsame. Eine Präsentation der 80.000 Seiten langen EU-Gesetze könnte man zwar auch ironisch sehen, Koolhaas (und übrigens auch Mark Leonard in „Wired") sieht jedoch in dieser (scheinbaren) Bürokratie die politische Vision eines Europa, das Menschenrechte sowie viele andere gemeinschaftliche Werte in sich aufnimmt. Auch wenn die Ideologie darin verloren gegangen scheint.

Sieht also auch der Architekt Rem Koolhaas den „europäischen Traum“? Alles weist darauf hin, auch wenn die großen Baustellen seines Büros längst weiter westlicher und östlicher zu suchen sind. Koolhaas, pragmatisch und scheinbar frei von jeglicher politischer Ideologie, reiht sich in die Riege der „leidenschaftlichen Europäer“ ein. Für uns ein Zeichen, auch die europäische Architekturproduktion unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Welchen Puzzleteil im europäischen Visa-Netzwerk nimmt Architektur ein?

Wir haben versucht sowohl regionalen (siehe Interview mit Friedrich Achleitner) als auch europäischen (siehe den Essay über slowenische Architektur im europäischen Kontext) und globalen Tendenzen (siehe Bart Lootsma: „Intelligente Regionen) nachzugehen. Und das unter der Prämisse von Koolhaas: „In fact the creation of a new Europe gives each of us new space to imagine ourselves.“ Welche Bedeutung hat regionale Architektur, wie geht man als Architekt und Europäer damit um?
Klar ist auch, dass viele regionale Entwicklungen von „Architektur ohne Architekten“ kommen (siehe Bildergalerie: „Tinseltown“ in Rumänien von Mariana Celac, Iosif Kiraly, Marius Marcu-Lapadat, das ein Roma-Dorf mit seinem formalen wie realen Reichtum zeigt) und jeweils aus einem speziellen traditionellen Umfeld. Gerade dieses Beispiel zeigt ohne Wertung auch eine Verbesserung der Lebensqualität, die dokumentiert wird, um sie kennen lernen zu können. Ein europäischer Gedanke nach Blair: „Europa ist gegründet worden, um das Leben der Menschen zu verbessern. Und sie sind gerade jetzt nicht überzeugt. Bedenken Sie das!“

Architekten bauen längst nicht mehr ausschließlich in ihrer Region, viele nicht mehr in ihrer Heimat und sind deswegen immer mit anderen, neuen Orten konfrontiert. Die Geschichte einer Stadt oder Region wird immer spezifisch und einzigartig bleiben. Und auch ihre Einzigartigkeit behalten.
Natürlich gibt es auch längst eine „globale oder europäische“ Form, die man mittlerweile in höchster Qualität in jedem Land findet. Es gibt auch Architekturszenen, die regional entstehen und besonderen Phänomenen unterliegen (in Österreich etwa in Vorarlberg). Bei der Analyse muss man aber als „leidenschaftlicher Europäer“ sehr vorsichtig sein. So kritisiert Petra Čeferin, dass sich westliche Kritiker oft wie Archäologen oder Forscher fühlen, die mit den gefundenen Merkmalen und Unterschieden die urbane Realität Osteuropas typisieren. Čeferin verlangt eine ernst zu nehmende Kritik, die sich auch vom „Ursprungsdenken“ loslösen kann. Vielleicht aus diesem Grund hat sich das Netzwerk der „Young European Architects“ gegründet (siehe Statementreihe), die versuchen die Probleme von jungen europäischen Architekten im steten Austausch praktisch und gemeinsam zu behandeln.

Architektur hat ihre nationalen Eigenheiten, ihre historischen Einflüsse und urbanen Entwicklungen. Die Einflüsse sind aber längst nicht mehr so eindeutig wie noch vor ein paar Jahrzehnten. Und genauso wie Europa ein steter komplexer Prozess ist, wird auch – neben Entwürfen, Projekten und Bauten – die Planung und Analyse von Regionen neue Strategien erfordern. Mitunter auch, damit Europa sich nicht als reiner Wirtschaftsmarkt definiert und Architekten sich nicht dem großen Bauherrn „Markt“ verschreiben müssen.

Wir hoffen, uns ist eine Annäherung gelungen, und danken nicht zuletzt unseren engagierten Autoren aus der Slowakei, Slowenien, Rumänien und dem Kosovo für ihre Zusammenarbeit.

Herzlichst
Manuela Hötzl, Antje Mayer („leidenschaftliche Europäer“)

Artikel erschienen in: REPORT.Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Mai 2005



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